Interview: Umbau in höhere Haltungsstufen Interview: Umbau in höhere Haltungsstufen

Umbau zum Tierwohlstall - Interview mit Gabriele Mörixman

Der Lebensmitteleinzelhandel will das Frischfleisch-Angebot aus den Haltungsformen 3 und 4 massiv ausbauen. Dies setzt Schweinehalter unter Druck, da eine höhere Haltungsstufe auf den meisten Betrieben einen Umbau oder Neubau der Ställe erfordert. Wie die Umstellung auf höhere Tierhaltungsstufen gelingen kann und was dabei zu beachten ist, dazu äußert sich die Beraterin und Landwirtin Gabriele Mörixmann im Interview. Sie hat mit dem "Aktivstall für Schweine" ein eigenes Haltungskonzept entwickelt und berät am Umbau interessierte Betriebe.

Frau Mörixmann, wie schätzen Sie die aktuelle und zukünftige Lage der Schweinehaltung in Deutschland ein?

Gabriele Mörixmann: Ich bin ein positiv denkender Mensch und gehe immer vom Besten aus. Wir werden auch in Zukunft noch Schweine in Deutschland halten, aber wahrscheinlich weniger und auf einem höheren Tierwohlniveau. Es gibt verschiedene Ernährungswünsche der Verbraucher, von Haltungsstufe 1 bis 4 und Bio bis hin zu vegan und vegetarisch und vieles mehr, und dass wir als deutsche Landwirtschaft in dieser Breite Produkte anbieten können, das macht uns als Standort stark. Deswegen ist die Vielfalt der Haltungsformen wichtig.

Wie hoch schätzen Sie die Bereitschaft zur Umstellung auf höhere Tierhaltungsstufen ein?

Mörixmann: Es ruft fast jeden Tag ein Landwirt an, der Interesse an der Umstellung hat. Die Nachfrage ist also groß. Auf der anderen Seite ist es aber immer noch schwierig, die Kundschaft für das Fleisch aus den höheren Haltungsstufen zu finden. Das demotiviert dann viele erst einmal wieder. Generell kann man sagen, dass Betriebe mit gesicherter Hofnachfolge eher den Schritt zur Umstellung wagen als Betriebe, wo das noch ungeklärt ist und wo die Inhaber bereits im fortgeschrittenen Alter sind. Aber wenn ich in Zukunft noch Schweine halten will, muss ich mich mit diesen Zukunftsthemen beschäftigen.

Neubau oder Umbau von Altgebäuden: Was ist sinnvoll?

Mörixmann: Ich habe in den letzten 20 Jahren bestimmt über 1000 Beratungen gemacht und keine war wie die andere. Man kann nicht pauschal sagen, du musst neu bauen oder umbauen. Man muss immer auf den Betrieb fahren, man muss den Menschen sehen, für was ist der Mensch überhaupt geschaffen, wozu hat er Lust?

Die Situation rund um die Genehmigung ist sowohl bei Neubauten als auch bei Umbauten kompliziert. Eine Bestandsabstockung für ein größeres Platzangebot ist genehmigungsfrei, aber schon wenn man im Stall etwas räumlich verändert, was eine wesentliche bauliche Veränderung darstellt, ist eine Genehmigung nötig. Bei mir war es zum Beispiel so, dass ich im Stall eine Bewegungsarena für die Schweine herstellen wollte, also einfach nur einen großen Raum dafür nutzen, und auch das war schon eine Nutzungsänderung, die ich mir genehmigen lassen musste.

Wie ist Ihr Haltungssystem einzuordnen?

Mörixmann: Unser Konzept "Aktivstall für Schweine" ist bei ITW und beim staatlichen Tierhaltungskennzeichen in Stufe 4 einzuordnen, obwohl wir nicht "bio" sind. Eigentlich sind wir mit unseren Kriterien weit über der jeweiligen Stufe 4, denn die ganzen Einstufungen fangen im Moment alle erst ab der Mast an. Bei uns ist aber neben der Mast auch die Sauenhaltung mit enthalten, die Ferkelaufzucht, der Transport sowie die Schlachtung und Verarbeitung.

Was macht Ihr Haltungssystem aus?

Mörixmann: Wir legen Wert darauf, dass Landwirte, Schlachter, Verarbeitung und Lebensmitteleinzelhandel auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Transparenz und Genuss spielen eine große Rolle. Das bekommen wir nur gemeinsam hin, indem wir uns über Probleme und Herausforderungen in der jeweiligen Branche austauschen. Wir verhandeln auch den Preis gemeinsam, den es nachher geben soll. Jeder soll am Markt bestehen können und nicht nur einer aus der Kette.

Seit wann praktizieren Sie dieses Haltungssystem und wie kam es dazu?

Mörixmann: Ich bin mit konventioneller Haltung groß geworden, habe dann Agrarökologie studiert und noch während des Studiums im Jahr 1997 mit der ökologischen Sauenhaltung in reiner Strohhaltung begonnen. Ich dachte damals, nun bin ich am Ziel meiner Träume, musste dann aber feststellen, dass auch die reine Strohhaltung nicht nur gut für die Schweine ist. Aus dieser Erkenntnis, dass Schwarz-weiß-Denken niemandem hilft, ist mein Konzept "Aktivstall für Schweine" entstanden. Ich möchte offen sein für jedes Haltungskonzept am Markt und mir aus jedem Konzept das herauspicken, was für die Schweine und für den Landwirt Sinn macht. Denn letztendlich müssen wir immer einen Kompromiss finden zwischen dem, was für das Tier gut ist und dem, was auch für den Landwirt machbar ist.

Im Jahr 2012 habe ich dann mein eigenes Label gegründet, das unabhängig kontrolliert und zertifiziert ist. Damals hatte ich 3.000 Schweine im Jahr und musste dafür eine passende Vermarktung finden. Anfangs habe ich 3 Schweine pro Woche geschlachtet und diese in 3- oder 5 kg-Paketen in der Direktvermarktung verkauft. Im Jahr 2015 habe ich dann Sarah Dhem von Unternehmen Kalieber und der Marke glücksatt kennengelernt und seitdem arbeiten wir zusammen. Anfangs nahm sie 5 Schweine pro Woche ab, jetzt sind es 140 Schweine pro Woche. Daneben beliefern wir noch einige Fleischereien. Mit steigendem Absatz konnte ich dann weitere Landwirte ins Konzept aufnehmen, aber insgesamt war es ein langer Weg.

Wie viele Betriebe sind mittlerweile ebenfalls mit dem Aktivstall für Schweine dabei?

Mörixmann: Mittlerweile sind es acht Betriebe: ein Züchter, drei Sauenhalter und vier Mäster. Von der Zuchtsau über die Muttersau, Aufzucht und Mast arbeiten wir geschlossen zusammen. Das beginnt bereits bei der Zuchtsau mit freier Abferkelung. Wir achten sehr auf Mütterlichkeit, weil wir das Mehr an Tierwohl beim freien Abferkeln nicht mit erdrückten Ferkeln bezahlen wollen. Nur mütterliche Sauen kommen als Muttersau in das Aktivstall-Konzept.

Gutes Futter und die Darmgesundheit sind wichtig, denn nur eine gesunde Sau kann gesunde Ferkel hervorbringen, die dann wiederum ihren Ringelschwanz behalten können. Die tragenden Sauen können sich tiergerecht verhalten, sie können raus, wühlen, das braucht in der Aufzucht doppelt so viel Platz. Wir haben einen Kriterienkatalog, der erfüllt werden muss, und darüber hinaus noch Punkte, die ich gerne umgesetzt haben möchte, die aber nicht im Katalog stehen, z.B. die transparente Arbeit.

Wenn die teilnehmenden Betriebe umbauen, begleite ich das, aber die Kontrolle und Endabnahme macht dann ein unabhängiges Institut. Fast jeden Tag erhalte ich Anfragen von Betrieben, die mit einsteigen wollen. Allerdings kann ich nur so viele Landwirte aufnehmen, wie ich hinten Schweine vermarktet bekomme.

Sollte die Vermarktung schon im Vorfeld stehen oder ergibt sich das mit dem Umbau von selbst?

Mörixmann: Das ist wieder ganz betriebsindividuell und man muss mit dem Landwirt schauen, was der beste Weg ist. Nicht jeder ist der Typ für die Selbstvermarktung, nicht jeder arbeitet gerne transparent, was viele Programme mittlerweile verlangen. Für solche Betriebe suchen wir dann nach einer Fördermöglichkeit für den Umbau. Wir müssen wieder dahin kommen, den Betrieb und die Menschen dahinter zu sehen, um die ideale Lösung zu finden anstatt pauschal zu sagen, das musst du jetzt so machen. Jeder Landwirt ist auch Unternehmer und muss mit einer Deckungsbeitragsrechnung schauen, ob sich der Umbau rechnet. So oder so benötigt man einen langen Atem, denn sowohl der Umbau als auch die Vermarktung brauchen Zeit.

Was allerdings überhaupt nicht praxistauglich ist, ist die Idee, dass man mit einem Vermarkter einen Vorvertrag machen kann, am besten noch mit einer Abnahme- und Preisgarantie, um dann mit dieser Absicherung den Umbau zu starten. Das passt deswegen nicht, weil ich ja jetzt als Vermarkter die Schweine benötige, und nicht erst in 3 Jahren, wenn der Umbau fertig ist. Ich weiß ja gar nicht, wie die Situation in drei Jahren ist. Leider dauert die Umbauphase inklusive Genehmigung so lange. Und dann müssen die Schweine ja auch noch geboren und gemästet werden, bis der erste Durchgang aus der Haltungsumstellung fertig ist. Deswegen kann ich nur jedem raten, den Umbau unabhängig zu starten oder eben nicht. Das Risiko für seine Entscheidung trägt der Landwirt als Unternehmer letztlich selbst.

Dürfen Spaltenböden noch sein, machen sie Sinn oder sollten alle Flächen befestigt und mit Stroh eingestreut werden?

Mörixmann: In unserem Konzept muss ein Drittel der Fläche Spaltenböden sein oder befestigte Betonfläche. Und zwar deshalb, damit die Tiere in der warmen Jahreszeit die Wahl haben, ob sie auf Stroh oder einem kühlen glatten Untergrund liegen möchten. Ich hatte früher Schweine in reiner Strohhaltung und habe gemerkt, dass das im Sommer nicht ideal ist. Deshalb habe ich im Laufe der Jahre ausprobiert, wie viel Fläche befestigt sein muss, damit die Tiere eine Liegekühlmöglichkeit haben. Wir brauchen Ställe für jede Tages- und Jahreszeit.

Noch besser ist es, wenn es über den Spaltenböden auch noch Duschen oder Vernebelungsanlagen gibt. Wenn ich mehr Tierwohl will, muss ich doch die Grundbedürfnisse abdecken, und dazu gehört das weiche Liegen im Stroh genauso wie das Regulieren der Körpertemperatur durch Liegekühlen.

Wie viel mehr Arbeitsaufwand bedeuten höhere Haltungsstufen?

Mörixmann: Das hängt wieder sehr vom individuellen Verhalten des Landwirts ab. Generell ist der Arbeitsaufwand bei doppelt so viel Platz und Stroheinstreu doppelt so hoch wie vorher. Stufe 3 nach ITW bietet ja 40 Prozent mehr Platz und Stufe 4 bietet 100 Prozent mehr Platz. Bei 40 Prozent mehr Platz habe ich aber so viel mehr Aufwand, dass ich mit der doppelten Zeit nicht hinkomme, wenn ich den Anspruch habe, dass Stroh nach Stroh aussieht. Es gibt aber auch Landwirte, die damit klarkommen und akzeptieren, dass das Stroh nach einiger Zeit verdreckt ist.

Meiner Meinung nach funktioniert Strohhaltung mit nur 40 Prozent mehr Platz nicht. Bei doppelt so viel Platz sieht Stroh nach Stroh aus, dann komme ich mit dem doppelten Arbeitsaufwand auch aus. Deshalb rate ich dazu, gleich Stufe 4 anzuvisieren. Bei Bio ist es tendenziell noch etwas mehr als doppelt so viel Aufwand, weil ich nicht 1,5 m² pro Tier habe sondern 2,5 m². Deshalb habe ich auch 2,5 m² sauber zu machen und zu betreuen.

Muss es Bio sein, damit es gut für die Tiere ist?

Mörixmann: Nein, das muss es meiner Meinung nach nicht. Ich gehe da auf die Ernährungswünsche unserer Kunden ein: Es wird nachgefragt, aber nicht jeder Landwirt muss auf Bio umstellen, nur damit es den Tiere gut geht. Auch Stufe 3 und 4 bieten schon sehr viel Tierwohl. Jeder Schritt in Richtung Tierwohl ist richtig, und alles beginnt mit dem ersten Schritt. Einfach anfangen ist meine Devise.

Gibt es Tipps und Tricks, die den Umstieg erleichtern?

Mörixmann: Der wichtigste Tipp ist, in sich hinein zu horchen und sich zu fragen: Was will ich? Wofür bin ich der richtige Landwirt? Nicht daran denken, was der Berater oder der Kunde will. Denn die Arbeit muss auch Spaß machen, ich darf mich nicht über Mehrarbeit ärgern.

Gibt es einfache Maßnahmen, die zu mehr Tierwohl führen und schnell umgesetzt werden können?

Mörixmann: Wenn die Sau eine Mutter-Kind-Tränke hat und in der Aufzucht die gleiche Tränke für die Ferkel hängt, so dass die schwachen Ferkel auch gleich die Tränke finden. Das ist sehr viel Tierwohl und gar nicht schwer zu installieren. Oder eine Heuraufe einbauen. Oder die Haltung unkupierter Ferkel, also mit Ringelschwanz versuchen. Oder das freie Abferkeln ausprobieren.

Hier haben viele Angst vor der Investition. Aber man muss ja nicht gleich den ganzen Stall umbauen, sondern kann mit der Lieblingssau anfangen. Denn die Lieblingssau ist meist sehr lieb und mütterlich, so dass der Landwirt bei ihr sieht, dass das freie Abferkeln klappen kann. Durch diese positive Erfahrung werden die Ängste meist abgebaut und die Landwirte sind eher bereit, es zu versuchen.

Wo bekommt man Hilfe, wenn man umbauen will?

Mörixmann: Ich würde mir immer mehrere Berater hinzuziehen, um verschiedene  Meinungen zu hören. Wichtig ist nur, dass man den jeweiligen Beratern vorher nicht die Meinung der anderen Berater sagt, damit sie unvoreingenommen bleiben. Ideal sind ein Stallbauer, ein Berater und ein Praktiker, die bereits Erfahrungen mit tiergerechten Haltungssystemen haben. Jedes Bundesland in Deutschland hat unterschiedliche Fördermöglichkeiten. In Westfalen gibt es die Strohprämie, in Niedersachsen die Ringelschwanzprämie usw., da muss man sich erkundigen.

Frau Mörixmann, vielen Dank für das Interview!


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