Dr. Anja Rostalski ist Fachtierärztin für Schweine und Fachabteilungsleiterin beim Tiergesundheitsdienst (TGD) Bayern e.V. sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Resistente Erreger in der Veterinärmedizin (ARE-Vet). Im Rahmen des Bayerischen Aktionsbündnisses Antibiotikaresistenz (BAKT) bildet die ARE-Vet das Pendant zur humanmedizinischen Landesarbeitsgemeinschaft multiresistente Erreger (LARE) und befasst sich intensiv mit Strategien zur Antibiotikaminimierung.
Welche Maßnahmen kann man zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes ergreifen?
Dr. Anja Rostalski: Natürlich solche, die verhindern, dass die Tiere überhaupt krank werden. Man kann sie nicht einzeln in Watte packen, aber ordentliche Haltungsbedingungen, eine optimale Versorgung mit Futter und Wasser von guter Qualität sowie der Schutz vor Eintrag von Krankheiten in den Bestand und deren Verschleppung durch den Bestand sind Grundvoraussetzungen, um Tiere gesund zu erhalten. Wenn man den Bestand und dessen Gesundheitsstatus gut kennt, kann man die im Betrieb vorhandenen Erreger mit gezielten Impfprogrammen und Managementmaßnahmen bekämpfen und so den Ausbruch von Krankheiten verhindern oder zumindest die Zahl der erkrankten Tiere deutlich reduzieren. Auf diese Weise kommt man weg von der Behandlung ganzer Tiergruppen und kann mit gezielten Einzeltierbehandlungen eine Menge Antibiotika sparen.
Welche von diesen Maßnahmen sind in Ihren Augen die wichtigsten? Oder sind alle gleich? Gibt es Unterschiede in den Empfehlungen zwischen großen und kleineren Beständen?
Rostalski: Da gibt es keine Rangliste, diese Maßnahmen sind alle gleich wichtig. Doch der wesentliche Schlüssel ist zunächst das Tier selbst. Die meisten bakteriellen Infektionen, also die, die wir nur mit Antibiotika behandeln können, werden innerhalb einer Spezies direkt von Tier zu Tier übertragen. Was ist also über die Tiere im Bestand und die Erreger, die dort kursieren und für Krankheitsfälle sorgen, bekannt? Zu diesem Wissen kommt man nicht ohne Diagnostik. Sie ist unerlässlich, um geeignete Maßnahmen zur Vorbeugung festlegen zu können. Dabei ist weniger die Bestandsgröße entscheidend, sondern vielmehr Parameter wie Genetik und Herkunft der Tiere, das Zukaufverhalten und die innere wie äußere Biosicherheit. Es kommt vor allem auf den Menschen und das Management an.
Wie sehen Sie die Bestandsbetreuung durch einen festen Tierarzt mit regelmäßigen Betriebsbesuchen im Hinblick auf die Antibiotika-Minimierung? Was kann der Tierarzt auf dem Betrieb vorbeugend veranlassen, damit Antibiotika kaum nötig werden?
Rostalski: Die Bestandsbetreuung durch einen festen Hoftierarzt ist absolut unerlässlich, wenn es darum geht, die Tiergesundheit zu verbessern und langfristig stabil zu halten, eben weil er den Betrieb regelmäßig sieht und daher gut kennt. Er ist das zusätzliche Augenpaar, das mit etwas mehr Abstand durch den Betrieb geht und Dinge sieht, die dem Tierhalter bei der täglichen Routine schon mal entgehen. Er ist nicht nur Tierarzt und Apotheker, sondern auch Fütterungs- und Hygieneberater, gelegentlich Streitschlichter, Kinderbetreuer, Psychotherapeut, Eheberater sowie Hausarzt und bisweilen sogar ein guter Freund.
Um wesentliche Maßnahmen zu platzieren und erfolgreich umzusetzen, braucht es ein Vertrauensverhältnis, bei dem man sich gegenseitig aufmerksam zuhört und konkrete Ziele festlegt. Nichts ist schwieriger, als schlechte Gewohnheiten abzulegen, besonders, wenn es um andere Menschen auf dem Hof geht, die eine wichtige Rolle in den Arbeitsabläufen spielen. Maßnahmen, die aufwändig und sehr viel teurer sind als eine Behandlung mit Antibiotika, bedürfen einer schlüssigen Erklärung und viel Motivation. Oft stecken die Betriebe in einem System fest, indem eine Änderung des Arbeitsrhythmus schwer möglich ist. Der Tierarzt ist nicht der "Partner in Crime", der mit Medikamenten Managementfehler ausgleicht. Aber als Anwalt der Tiere wird er nicht zögern und Antibiotika verordnen, um Leben zu retten und Leiden zu mindern, auch wenn er das im Maßnahmenplan begründen muss. Das eigentliche Ziel sollte man dabei nicht aus dem Auge verlieren.
Wie hat sich die Bestandbetreuung der Betriebe in Deutschland durchgesetzt?
Rostalski: Eigentlich sollte jeder Betrieb einen Tierarzt haben, zumal die Schweinehaltungshygieneverordnung vorschreibt, dass ein Schweinebestand regelmäßig, mindestens aber zweimal im Jahr, von einem Tierarzt besucht werden muss. Mäster müssen bei jedem Mastdurchgang mindestens einen tierärztlichen Besuch haben, oder zweimal im Jahr, wenn sie kontinuierlich die Ställe belegen. Das läuft allerdings noch nicht so ganz als Bestandsbetreuung. Bestandsbetreuung heißt, dass unabhängig von gesundheitlichen Problemen im Bestand der Tierarzt kommt, die Tiere ansieht und den Landwirt berät.
Größere Betriebe haben solch ein System, meist mit spezialisierten Schweinetierarztpraxen, die regelmäßig und nicht selten wöchentlich die Betriebe anfahren. Die Besuche hängen oft vom Produktionsrhythmus ab, aber das läuft schon sehr gut. Die Tierärzte sind heute gut fortgebildet in den Themen Lüftung, Stallklima, Fütterung, Tierwohl und Hygiene. Diese Beratung ist ebenfalls eine tierärztliche Leistung, die entsprechend vergütet gehört. Im Idealfall der Bestandsbetreuung arbeiten Landwirt und Tierarzt so gut zusammen, dass es nur selten zu Erkrankungen im Bestand kommt, die tatsächlich mit Antibiotika behandelt werden müssen.
Was sollte man als Landwirt als erstes tun, um den Verbrauch zu reduzieren, wenn man nicht an allen Stellschrauben gleichzeitig drehen kann?
Rostalski: Als Tierhalter sollte man eigentlich wissen, warum man die Kennzahlen überschritten hat. Das heißt nicht, dass nicht auch Betriebe, die wenig Antibiotika einsetzen, durchaus Einsparpotential haben können. Selbstverständlich muss man hierzu den Hoftierarzt konsultieren, der natürlich weiß, warum er die Medikamente verordnet hat. Und dann sollte man gemeinsam realistische Ziele definieren, was kurz-, mittel- und langfristig helfen kann, um den Einsatz von Antibiotika ohne Minderung des Tierwohls zu reduzieren.