Genetische HornlosigkeitGenetische Hornlosigkeit

Genetische Hornlosigkeit - eine Alternative?

Die meisten Rinder tragen von Natur aus Hörner, so auch die am weitesten verbreiteten Milchviehrassen. In diesen Rassen traten jedoch durch natürliche Mutation immer wieder auch Tiere ohne Hornanlagen oder unterentwickelten Hörnern, sogenannte Wackelhörner, auf. Ist die Zucht auf dieses Merkmale eine echte Alternative zum Enthornen?

Durch Selektion der Mutanten stehen schon jetzt mehr hornlose Zuchtlinien zur Verfügung. Bei anderen Rassen wie Angus, Galloway oder Hereford ist die genetische Hornlosigkeit schon lange fest verankert.

In der modernen Rinderhaltung gelten horntragende Tiere heute als risikoreich. Hörner bergen ein hohes Verletzungsrisiko für Menschen und Artgenossen und vor allem im Laufstall, wenn das erhöhte Bedürfnis nach Individualdistanz horntragender Kühe für eine stabile Rangordnung nicht befriedigt werden kann. Die Tiere können sich durch die Stalleinrichtungen aber auch selbst schwer verletzen. Hornlose Tiere bieten in der Praxis somit einige Vorteile.

Ohne Hörner weniger Verletzungen

Im Kampf um den Rang in der Herde dienen Hörner vor allem als Halteinstrument und zum Imponieren. Wissenschaftlich ist noch nicht abschließend geklärt, ob Hörner auch eine bedeutende Rolle im Stoffwechselgeschehen und damit auch für die  Milchqualität haben. Typische Verletzungen durch Hörner treten im Bereich der Hintereuter mit sogenannter Blutmilch auf. Es kommt zu Hämatomen, Fellschrammen bis hin zu Wunden. Die Anforderungen an das Management bei der Haltung behörnter Tiere, insbesondere in größeren Herden, sind deutlich höher und in der Praxis oft kaum leistbar.

Enthornen ist die Regel

Meist wird innerhalb der ersten Lebenswochen die Hornanlage mit einem Brennstab unter Sedierung und lokaler Betäubung zu entfernt. Grundsätzlich dürfen Landwirte das Enthornen nach § 6 (1) Satz 3 Tierschutzgesetz selbst durchführen, wenn sie über die entsprechenden Kenntnisse dazu verfügen. Das Enthornen ist jedoch aus Tierschutzsicht gesellschaftlich und politisch zunehmend umstritten. Die Kälber zeigen nach dem Enthornen und dem Nachlassen der lokalen Betäubung über Stunden hinweg deutliche Schmerzreaktionen durch häufiges Kopfschütteln, Hinterhandschlagen, Rückwärtslaufen, Ohrenschlagen, Nahrungsverweigerung oder apathisches Stehen mit gesenktem Kopf. Im Verlauf der Wundheilung oder bei vorkommenden Wundinfektionen kommt es zu länger anhaltendem postoperativem Schmerzen.

Zucht kann Ausweg aus dem Dilemma sein

Schon seit den 1970er Jahren etablieren verschiedene Zuchtverbände erfolgreich genetisch hornlose Tiere in Milch- und Fleischrassen. Genetische Hornlosigkeit liegt mittlerweile im Trend. Allerdings verzeichnen die Hornlosen vor allem in den Milchrassen noch nicht in der Breite das Leistungsniveau horntragender Tiere. Reinerbige Zuchttiere mit sehr guten Leistungsmerkmalen erzielen daher regelmäßig hohe Preise.

Durch einen Test kann der Genotyp von hornlosen Bullen frühzeitig identifiziert werden. Besamungsstationen und Züchtungsunternehmen nutzen diesen Test zunehmend. Noch sind genetisch hornlose Bullen in der Minderheit. Die Zahl nimmt jedoch stetig zu. Kritiker genetisch hornloser Tiere warnen, dass die Zucht hornloser Tiere nicht auf Kosten des Zuchtfortschrittes wichtiger Leistungsmerkmale oder durch vermehrte Inzucht erfolgen darf. Insbesondere eine Verarmung der genetischen Vielfalt innerhalb einer Rasse wird als Hauptargument angeführt.

Einzelne Bio-Verbände schließen den Zuchteinsatz genetisch hornloser Tiere grundsätzlich aus und fürchten, dass in naher Zukunft nicht mehr ausreichend Zuchttiere mit Hörnern zur Verfügung stehen könnten.

Bei der Umstellung auf eine genetisch hornlose Herde durch gezielte Anpaarung müssen Tierhaltende kurz- bis mittelfristig Kompromisse hinsichtlich der Milchleistung und -qualität oder funktionalen Merkmalen machen. Das Risiko gilt bei sehr guten Müttern und hornlosen Bullen mit höchsten Zuchtwerten jedoch als kalkulierbar. Erstklassige, natürlich hornlose Kühe kommen für einen Embryotransfer in Frage, um rasch die Zuchtbasis für hornlose Leistungstiere verbreitert. Auch genetisch hornlose Nachzuchttiere beiderlei Geschlechts erzielen gute Erlöse.

Auf der Kostenseite des Milchviehbetriebs entfällt mit dem Enthornen ein arbeitsaufwändiger Arbeitsvorgang. Ebenso entfällt das Risiko von Kosten tierärztlicher Betreuung, die bei Komplikationen entstehen können und gar eine lebenslange Leistungsminderung zu Folge haben können. Der Aufbau einer homogenen und vererbungssicheren Hornlosherde kann langfristig ein wirtschaftlicher Gewinn sein.

Genotypisierung vor der Anpaarung

Um den gehörnten Phänotyp züchterisch aus der Herde zu drängen, ist es sinnvoll vor der Verpaarung mit zwei hornlosen Elterntieren den genetischen Hornstatus zu ermitteln. Insbesondere bei der Anpaarung mit eigener Nachzucht ist dieses wichtig, da bei der Anpaarung von zwei heterozygoten Zuchttieren mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 % wieder ein Hornträger unter den Nachkommen sein könnte.

Die Tests können mittels EDTA-Blut, Haarwurzelproben aus der Schwanzquaste, Ohrstanzproben, Spermaproben oder Schleimhautabstrichen aus dem Maul durchgeführt werden. Der Hornstatus kann auch zur Abstammungsprüfung beitragen. Bei einem horntragenden Tier kann ein angegebener Vater mit PP nicht richtig sein. Ebenso wenig kommen hornlose Tiere aus zwei behornten Elterntiere vor. Die Vererbungsschritte sind in der folgenden Tabelle dargestellt.

Vererbung der Hornlosigkeit beim Einsatz hornloser Zuchttiere

Anpaarung mit einem reinerbigem Elterntier (PP)

Genotyp PP (hornlos) x pp (gehörnt)
Phänotyp der Nachkommen
100% Pp (hornlos)
Genotyp PP (hornlos) x Pp (hornlos)
Phänotypen der Nachkommen
50% PP (hornlos)50% Pp (hornlos)                        

Anpaarung mit einem mischerbigen Elterntier (Pp)

Genotyp Pp (hornlos) x pp (gehörnt)
Phänotypen der Nachkommen
50% Pp (hornlos)50% pp (gehörnt)

Anpaarung von zwei mischerbigen Elterntieren (Pp)

Genotyp Pp (hornlos) x Pp (hornlos)
Phänotyp der Nachkommen
25% PP (hornlos)         50% Pp (hornlos)         25% pp (gehörnt)

Anpaarung von zwei reinerbigen Elterntieren (PP)

Genotyp PP (hornlos) x PP (hornlos)
Phänotypen der Nachkommen
100% PP (hornlos)

In der Laufstallhaltung von Milchkühen, aber auch in der Haltung von Fleischrindern, kann die züchterische Umstellung der Herde auf genetisch hornlose Tiere sinnvoll sein. Noch ist die Zucht genetisch hornloser Tiere mit dem Risiko züchterischer Rückschritte bei verschiedenen Funktions- und Leistungsmerkmalen der Tiere verbunden. Diese werden mit steigendem Anteil hornloser Tiere an der Gesamtpopulation aber geringer.

 


Letzte Aktualisierung 18.07.2024

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